Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) bietet faszinierende Einblicke in die neuronale Verarbeitung. Das Forschungsteam um Dr. Conny Kopp-Scheinpflug hat in Versuchen mit Mäusen herausgefunden, dass Axone – die langen Nervenzellfortsätze, die für die Weiterleitung von Informationen im Gehirn verantwortlich sind – individuell auf sensorische Stimulation reagieren, indem sie ihre Myelinscheide stärken. Diese Entdeckung liefert nicht nur wichtige Erkenntnisse über die Mechanismen der Myelinisierung, sondern hat auch direkte Implikationen für das Verständnis von Hörtrainings.
Die Studie zeigt, dass regelmäßig stimulierte Axone, beispielsweise durch akustische Reize, eine verstärkte Myelinscheide entwickeln, was die Übertragungsgeschwindigkeit der Nervenimpulse erhöht. Das war bereits bekannt. Entscheidend ist jedoch, dass diese Verbesserung ausschließlich das trainierte Axon betrifft und sich nicht auf benachbarte Axone im selben Nervenbündel auswirkt.
Für den Einsatz von Hörtrainings ergeben sich aus diesen Erkenntnissen wichtige Schlussfolgerungen:
Individuelle Anpassung von Hörtrainings: Die Studie unterstreicht die Bedeutung individuell angepasster Hörtrainings, die spezifisch auf die Bedürfnisse jedes Ohrs eingehen. Einseitige Hördefizite könnten somit von gezielten Trainings des betroffenen Ohrs profitieren, ohne dass automatisch von einer Verbesserung des nicht trainierten Ohrs ausgegangen werden kann.
Beratung zur sensorischen Stimulation: Kunden können darüber aufgeklärt werden, wie wichtig eine ausgewogene akustische Stimulation beider Ohren ist, um die neuronale Verarbeitung und damit das Hörvermögen optimal zu unterstützen. Dies kann die Motivation für die Verwendung von beidseitigen Hörgeräten oder das Engagement in Hörtrainings verstärken.
Bedeutung vielseitiger Erfahrungen: Die Erkenntnisse betonen die Notwendigkeit einer vielseitigen akustischen Stimulation über die Lebensspanne. Im Beratungsgespräch können diese Information nutzen, um die Wichtigkeit eines aktiven und abwechslungsreichen Lebensstils für die Erhaltung der kognitiven und auditiven Gesundheit hervorzuheben.
Originalpublikation:
Mihai Stancu, Hilde Wohlfrom, Martin Heß & Conny Kopp-Scheinpflug: Ambient sound stimulation tunes axonal conduction velocity by regulating radial growth of myelin on an individual, axon-by-axon basis. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2024.
https://doi.org/10.1073/pnas.2316439121